Zum Ende des II. Weltkriegs in und um Delmenhorst

 

Truppenbewegungen vor dem Angriff
In der Zeit vom 18. bis zum 20. April 1945 fanden in der Re­gion starke Truppenverlagerungen statt. Während die Bri­ten ihre Kampfverbände auswechselten, um gezielt den An­griff auf Delmenhorst vorzubereiten, erhielt eine hinhaltend Widerstand leistende Panzergrenadier-Division von der Wehrmachtsführung den neuen Einsatzbefehl, die Verteidi­gung des Weser-Ems-Raumes zugunsten einer Truppenkon­zentration im Weser-Elbe-Raum aufzugeben. Das Regiment 115 mit dem Divisionsstab, der in Stenum Stellung bezogen hatte, fuhr bereits am 19. April 1945 in Richtung Lilienthal ab, das durch das Ersatz- und Ausbildungsbataillon 65 ver­stärkte Regiment 104 blieb unter dem Kommando von Oberstleutnant Nolte zunächst noch in den Stellungen süd­lich der Stadt, wo es am Abend von einer anderen Einheit abgelöst werden sollte. Offensichtlich erkannte Nolte die bedrohliche Lage, die durch die Umgruppierungen des Geg­ners hervorgerufen wurde, und zog daraufhin, von den Bri­ten unbemerkt, seine Truppen in vorbereitete Schanzungen an den Nordrand Delmenhorsts zurück. Diese neue Vertei­digungslinie (etwa: Tiergarten - Bungerhof - Hasbergen - Heidkrug) wurde um Mitternacht von dem stark ersatz­geschwächten Grenadier-Regiment 857 übernommen, so daß das Regiment 104 noch im Schutz der Dunkelheit die Weser überqueren und seiner Division nach Rotenburg fol­gen konnte.

Flucht der Verantwortlichen
Mit diesem Schachzug war die Lazarettstadt Delmenhorst dem Gegner schutzlos preisgegeben. Denn die in Delmen­horst stationierten Verbände waren seit einer Woche an­dernorts im Kampfeinsatz und der militärisch nicht kampf­fähige Volkssturm (vier städtische Bataillone und sechs im Landkreis, insgesamt ca. 1000 Mann) wurde in der Nacht zu­vor durch Gestellungsbefehl in die Nähe der Stadt Varel ver­legt. Diesem Transport schloß sich auf Anordnung der Auf­sichtsbehörde auch die Mehrheit der kommunalen Spitzen­beamten an. Die örtliche Kreisleitung, die nach der national­sozialistischen Gleichschaltung faktisch die Macht in der Stadt ausübte, verließ am Abend des 19. April 1945 fluchtar­tig die Stadt und zog sich nach Hude zurück, nachdem sie ei­ligst wichtige Dokumente vernichtet und die Leitung der Stadt dem zurückbleibenden Baurat Kühn übertragen hat­te.

Die Bevölkerung hatte von den Absetzbewegungen kaum etwas erfahren und blieb auch über den aktuellen Stand des Kampfverlaufs im Ungewissen, ebenso wie sie in den Jahren zuvor über die wahren Sachverhalte falsch informiert und getäuscht wurde. Wiederholte Störfeuer der britischen Ar­tillerie, die das öffentliche Leben in der Stadt stark beein­trächtigten, signalisierten jedoch das bevorstehende Ende. Die größte Sorge der Einwohner galt der Lebensmittelbe­schaffung, da man nach einer Besetzung mit Ausgangssper­ren und mit einem Lieferstopp von Nahrungsmitteln rech­nen mußte. Seit dem 10. April 1945 hatte das örtliche Ernäh­rungsamt Versorgungsgüter, die im Heeresverpflegungsamt an der Mühlenstraße gelagert wurden, kurzentschlossen über den Handel verkaufen lassen, damit die Vorräte nicht in die Hände der Alliierten gelangten.

Am 19. April 1945 lag das gesamte Stadtgebiet unter ständi­gem Artilleriebeschuss. Auch am Abend und in der Nacht zwang die heftige Feuertätigkeit die Einwohner, sich in den Luftschutzkellern und Notbunkern aufzuhalten, die sie auch nicht verließen, als am frühen Morgen des 20. April un­erwartete Ruhe eintrat. Allein diese Beschießung richtete erheblichen Sachschaden in der Stadt an und kostete 25 Zi­vilpersonen das Leben.

Kampflose Eroberung der Stadt
Für den Angriff auf Delmenhorst wurden schottische Eli­teeinheiten eingesetzt. Der Einmarsch erfolgte um 10.12 Uhr über die südlichen Ausfallstraßen. Sichtlich überrascht von der fehlenden Gegenwehr stießen die ersten Panzer­spähwagen des Derbyshire Yeomanry Erkundungsregimen­tes (es gehörte zur 51. Highland-Division) zögernd und sich nach allen Seiten absichernd über die Adelheider-, die Cramer- und die Lange Straße ins Stadtzentrum vor. Die Stadt bot den Eroberern ein ungewöhnliches Bild der Ruhe, da die Mehrheit der Bevölkerung in sicheren Schutzräumen ver­harrte und mit spannender Ungewißheit die neue Entwick­lung abwartete. Lediglich Fremdarbeiter und Kriegsgefan­gene aus dem Lager Schützenhof/Cramerstraße standen ju­belnd am Straßenrand und begrüßten ihre Befreier mit Blu­men.

Als die ersten Panzer gegen 10.35 Uhr den Rathausplatz erreichten, kamen ihnen ein Polizeibeamter, ein Arzt und eine Krankenschwester entgegen, um eine erste flüchtige Verständigung zu suchen. Ein zeitgenössischer Chronist berichtet so: „Die britischen Soldaten, die inzwischen ihren Fahrzeugen entstiegen waren, müssen aber sehr argwöhnisch gewesen sein, denn als die kleine Abordnung vor der Markthalle erschien, waren sogleich alle Maschinenpistolen auf sie gerichtet. Ein englischer Offizier stellte einige Fragen. Dann war die Unterredung beendet.“

Die „Übergabe“
Wenig später wurden die im Polizeigebäude versammelten Polizisten entwaffnet. Stadtbaurat Kühn, der wenige Stunden zuvor das Bürgermeisteramt übernommen hatte, befand sich im Rathaus. „Er wollte warten, bis die Engländer zu ihm kommen würden. Die Übergabe spielte sich in seinem Dienstzimmer ab. Ein englischer Offizier teilte dem leitenden Beamten mit, daß er von nun an den Anordnungen der militärischen Befehlshaber zu folgen habe. Eingehend erkundigte man sich nach dem Verbleib der Parteifunktionäre, deren Namen bereits in einer größeren Liste verzeichnet waren. Die wenigen zum Dienst erschienenen Beamten wurden nach Hause geschickt.“

Inzwischen war eine weitere britische Einheit, die 5./7. Gordon Highlanders, über die Wildeshauser Straße ins westliche Stadtgebiet vorgerückt und kontrollierte den Bezirk Tier­garten/Dwoberg. Am Mittag besetzten Verbände der 3. Bri­tish Infantry Division, die am Abend des 18. April Stickgras erreicht hatten, den östlichen Stadtteil Heidkrug.

Schwacher Widerstand
Während die Eroberung des Stadtzentrums ohne besondere Zwischenfälle verlief, gab es am Nordrand der Stadt, wo sich Teile des Grenadier-Regiments 857 verschanzt hatten, mili­tärischen Widerstand. „An der Stedinger Straße in Höhe der Dwostraße wurde ein Panzerspähwagen von einer Panzer­faust in Brand geschossen. Deutsche Artillerie in Neuendeel schoß auf britische Truppenansammlungen in der Schönemoorer Straße. Die Dwo- und Nordstraße bildete die neue Frontlinie. Eine deutsche Kampftruppe an der Nutzhorner Straße konnte durch die Anwohner nicht zum Abzug be­wegt werden.“ Dennoch konnten die schwachen und un­zulänglich bewaffneten deutschen Einheiten die vorsichtig operierenden Briten nicht ernsthaft aufhalten und gefähr­den.

Lage der Stadt nach der Besetzung
Am Mittag des 20. April 1945 war Delmenhorst unter Kon­trolle der Alliierten, der Krieg für die Bewohner beendet. Die öffentliche Gewalt lag ausschließlich in den Händen bri­tischer Kommandostellen. Bis zum Waffenstillstand, der für Norddeutschland am 5. Mai 1945 geschlossen wurde, be­stimmten militärische Aktionen das städtische Geschehen. Strategisch wichtige Punkte und Objekte wurden von Sol­daten besetzt. Truppenverschiebungen und endlose Fahr­zeugkolonnen waren an der Tagesordnung. Kämpfende Einheiten wurden von nachrückenden Besatzungstruppen abgelöst. Rigorose Sicherheitskontrollen, Beschlagnahmun­gen, Räumungen und Einquartierungen zogen die Bevölke­rung in Mitleidenschaft. „Wenn auch vorsätzliche Drangsa­lierungen und Schikanierungen von Seiten der Besatzungs­truppen in Delmenhorst nicht bekannt geworden sind, so hatten die britischen Soldaten doch keinerlei Veranlassung, mit dem Eigentum der Angehörigen eines besiegten Volkes schonend umzugehen, zumal sie die Deutschen als ein Volk von Verbrechern ansahen.“

In der Stadt selbst stand das öffentliche Leben mit dem Ein­marsch der gegnerischen Truppen mit einem Schlag still. Die deutsche Verwaltung war völlig ausgeschaltet, einige verbliebene Beamte wurden zu Befehlsempfängern und „Versorgungsstatisten“ degradiert. Die wirtschaftliche Pro­duktion, soweit sie nach den Bombenangriffen und Kriegszerstörungen noch funktionierte, war ebenso wie die zentra­len Versorgungsstätten stillgelegt. Sämtliche öffentlichen Einrichtungen blieben geschlossen.

Die Mehrheit der Delmenhorster Einwohnerschaft verhielt sich den neuen Machthabern gegenüber wenn auch nicht feindselig, so doch skeptisch und abwartend. Obwohl sie eine rasche Beendigung des Krieges herbeigesehnt hatte, be­trachtete sie die „Engländer“ weniger als Befreier vom Faschismus, denn als die siegreichen Kriegsgegner. Der Schock der deutschen Niederlage saß tief, die tägliche Präsenz kom­mandierender Militärs ließ eine weitere ungewisse und ent­behrungsreiche Notzeit befürchten. Dennoch bewahrten die Einheimischen Ruhe und Ordnung und fügten sich den Anordnungen der Besatzer, wohl auch aus der Einsicht her­aus, auf diese Weise die besseren Überlebenschancen zu be­sitzen.

Quelle:  Delmenhorster Schriften Band 13 – Dr. Norbert Baha - Delmenhorster Kommunalpolitik unter britischer Besatzung 1945/1946 – Verlag Rieck - 1987 – ISBN 3-920794-31-1 - Seite 10 bis Seite 14 Mitte