Christliches Jugenddorf Adelheide

Das Jugenddorf Adelheide auf dem Gelände des Fliegerhorst Adelheide von 1948-1958

Eine der problematischen Folgeerscheinungen nach dem Zweiten Weltkriege war die sogenannte " Wandernde Jugend" in Deutschland. Zahllose Kinder und Jugendliche hatten durch die Flucht oder Vertreibung aus den deutschen Ostgebieten und die chaotischen Verhältnisse der Nachkriegsjahre ihre Heimat und oft auch ihre Eltern verloren. Andere waren aus der sowjetischen Besatzungszone geflohen, um der Zwangsverpflichtung zum gefürchteten Uranbergbau im Erzgebirge zu entgehen. Ziel- und obdachlos trieben sie sich nun in den Westzonen herum, hausten in halbzerstörten Kellern zerbombter Häuser und lebten vielfach von Diebstählen, Überfällen, Schwarzhandel und Prostitution. Ihre Zahl wurde von Fachleuten auf 200.000 bis 300.000 geschätzt.

Von kirchlicher Seite trug man die leibliche und seelische Not dieser Jugend immer wieder den Behörden der Besatzungsmächte vor und regte damit die Freigabe von Gebäuden der ehemaligen deutschen Wehrmacht an, um die heimatlosen Jugendlichen unterbringen und betreuen zu können. Denn die vorhandenen diakonischen Einrichtungen hatten durch die Kriegsereignisse die meisten ihrer Gebäude verloren und konnten daher der neuen Not nicht begegnen. Im Frühjahr 1948 bot die Britische Rheinarmee den Vertretern der Kirchen in Oldenburg und Hannover an, den ehemaligen Fliegerhorst Adelheide bei Delmenhorst dem Evangelischen Hilfswerk und dem Katholischen Caritas-Verband zur Verfügung zu stellen, um dort ein Christliches Jugenddorf einzurichten.

Der Fliegerhorst war 1936 ca. 5 km südlich von Delmenhorst nahe dem Dorf Adelheide auf einer Fläche von 205 ha Geestboden angelegt worden. Mit erheblichen finanziellen Aufwand waren zahlreiche massive zweistöckige Kasernen aus rotem Klinker, umfangreiche technische Anlagen mit Bahnanschluss, Flugzeughallen und eine Rollbahn aus dem Boden gestampft und mit einem fliegenden Verband belegt worden. Nach dem deutschen Zusammenbruch im Mai 1945 brachten die Besatzungsmächte in den unzerstörten Gebäuden zunächst 30.000 ehemalige Fremdarbeiter bis zu ihrer Rückführung in ihre Heimatländer unter. Dann bezogen 5.000 Vertriebene aus Schlesien die Häuser in der Hoffnung, eine Bleibe auf Dauer gefunden zu haben trotz fehlendem Inventar, defekter Heizung und nicht funktionsfähiger Zentralküche; doch sie mussten den Fliegerhorst nach dem langen und extrem kalten Winter 1946/47 wieder räumen. Die Besatzungsmächte richteten nun ein Internierungslager für politische Gefangene ein, das bis 1948 bestand.

Einen Tag nach der Währungsreform, am 19. Juni 1948, besichtigten Vertreter der beiden christlichen Kirchen das angebotene Objekt und nahmen die Verhandlungen mit Vertretern der Britischen Rheinarmee, bzw. deren zivilen Behördenvertretern auf. Trotz großer Bedenken, ob es die kirchlichen Hilfswerke nicht überfordern würde, die weitläufigen Anlagen mit ihren erheblichen Wiederherstellungs-und Unterhaltskosten zu übernehmen, entschloss man sich, das Wagnis einzugehen. Ende August begann eine erste Arbeitsgruppe des Evangelischen Hilfswerks Hannover unter dem zukünftigen Wirtschaftsleiter Dr. Wolff mit den Aufräumungsarbeiten. Am 1. September 1948 unterzeichneten Vertreter der Ev. luth. Landeskirche Hannover und der katholischen Diözese Hildesheim den Vertrag mit dem Oberfinanzpräsidenten Hannover und übernahmen je zur Hälfe 33 Gebäude, Garagen und weitere technische Anlagen sowie 45 ha landwirtschaftlich nutzbare Fläche zu einem jährlichen Pachtpreis von 5000 DM.

"Ich wünsche Ihnen Gottes Hilfe und alles Gute, damit tatsächlich aus dem Objekt das Beste für die deutsche Jugend erwachsen möge" sagte der britische Lagerkommandant Mr. Curtis bei der Übergabe. Als Träger des Jugenddorfes wurde das "Ev.luth. Wichernstift e.V." und das "Katholische Jugendwerk St. Ansgar e.V." gegründet. Die Leitung übernahm auf evangelischer Seite Pastor Herbert Reich, auf katholischer Seite Direktor Löbbert. Der Name Wichernstift sollte an Johann Hinrich Wichern (1808-1881) erinnern, den Begründer des "Rauhen Hauses" in Hamburg (1833) für elternlose, verwahrloste Kinder; sein unermüdlicher Einsatz hatte 1848, also genau 100 Jahre früher, zur Gründung der "Inneren Mission" geführt.

Bis im "Christlichen Jugenddorf Adelheide" die ersten Jugendlichen aufgenommen werden konnten, blieb noch viel zu tun. Die leeren Kasernengebäude mussten mit Mobiliar ausgestattet, die technischen Anlagen instand gesetzt werden; zum Teil fehlten sogar die Türschlösser und Lichtleitungen. Bett- und Tischwäsche, Geschirr und Besteck, Haushaltsgeräte und Werkzeug waren zu beschaffen, eine fast unmögliche Aufgabe angesichts der wirtschaftlichen Not im Lande. Dass sie gelang, war der tatkräftigen Hilfe vieler Christen in Deutschland und in anderen Ländern, vor allem in den USA, zu danken. Die Gründung des Christlichen Jugenddorfes war allerdings nicht unumstritten. In Delmenhorst regte sich erheblicher Widerstand, besonders bei den Flüchtlingen und Heimatvertriebenen, die vielfach in drangvoller Enge in menschenunwürdigen Unterkünften leben mussten. Sie hofften, in den Adelheider Kasernen Wohnraum für 3.000 bis 4.000 Menschen schaffen und eine kleine Flüchtlingsstadt gründen zu können. Ende September 1948 fand eine Kundgebung in Delmenhorst statt, die die Forderung bekräftigte, Adelheide den Flüchtlinge zu überlassen; außerdem trug der amtierende Oberbürgermeister Wilhelm von der Heyde dem britischen General Robertson brieflich Gründe vor, die gegen die Errichtung des Jugenddorf sprächen. Doch es blieb bei der getroffenen Entscheidung.

Die ersten drei heimatlosen Jugendlichen konnten Ende Oktober 1948 in den "Hof der wandernden Jugend" einziehen; bis Weihnachten wuchs ihre Zahl auf 100. Ferner wurden 100 Jungen mit Erziehungsproblemen aus dem Stephansstift Hannover in den "Knabenhof" verlegt. St. Ansgar nahm 500 Westberliner Kinder auf, die durch die sowjetische Blockade in Not geratene Stadt durch die alliierte Luftbrücke ausgeflogen wurden. Die jugendlichen Wanderer wurden dem Jugenddorf meist vom Auffanglager Uelzen zugewiesen. Sie kamen zwar freiwillig, waren aber äußerlich wie innerlich verwildert, misstrauisch gegen Erwachsene und nicht an ein geregeltes Leben gewöhnt. Fast 20% waren Analphabeten, ein weiterer beträchtlicher Prozentsatz besaß nur unzureichende Kenntnisse im Lesen, Schreiben und Rechnen. Neben der Unterbringung und Betreuung musste deshalb für ihre schulische Bildung durch die Einrichtung einer Heimschule gesorgt werden. Für die Älteren war eine Vorbereitung auf ihre berufliche Ausbildung in Lehrwerkstätten notwendig. Jeweils 10-12 Jugendliche bildeten eine Zimmergemeinschaft. Ihre Betreuer waren meist Jungdiakone des Lutherstiftes oder Theologiestudenten die im Wichernstift ihr Sozialpraktikum leisteten. Sie teilten das Leben und die Freizeit mit den Jugendlichen, so dass tragfähige Beziehungen entstehen konnten. Die Zimmergemeinschaften waren wiederum zu Hausgemeinschaften zusammengefasst, die von einem Hausvater und seiner Frau als Wirtschafterin geleitet wurden. Fragen ihres Zusammenlebens konnten die Jugendlichen selbst regeln, es gab sogar ein Ehrengericht, das bestimmte Bußen für Fehlverhalten auferlegen konnte. Der Wochentag begann um 5.30 Uhr mit einem Choral, den einer der Diakone mit der Trompete blies. Die Sportlichen unter den Jugendlichen und ihre Helfer unternahmen dann einen Geländelauf, während die Heizkolonne den Füllofen der Zentralheizungsanlage mit Torf zu füllen begann. 

Zur Morgenandacht kamen die Jugendlichen bereits in Arbeitskleidung in der Kirche zusammen. Sie war behelfsmäßig in einer ehemaligen Garage eingerichtet worden. Altar, Kanzel und Kreuz stammten aus dem Internierungslager, die Bibel hatte auf dem Altar einer deutschen Kirchengemeinde in den USA gelegen. Die Altarleuchter waren Geschenke von Internierten und Kriegsversehrten, die Kirchenbänke kamen aus einer Schweizer Gemeinde. Eine schottische Freikirche hatte das Abendmahlsgerät gestiftet und das Taufbecken war eine Spende der vier deutschen Kindergottesdienste in Buenos Aires und Argentinien. Dazu schenkte die Deutsche Kohlenbergbauleitung dem Stift noch eine Glocke. Die Kirche war also ein Wahrzeichen der ökumenischen Verbundenheit unter den Christen.

Während die Jungen des "Knabenhof" den Unterricht in der Heimschule besuchten, bestand die Tagesarbeit der älteren Jugendlichen zunächst darin, die Gebäude einzurichten, einen Gemüsegarten anzulegen und die Waggons mit Torf für die Heizzentrale zu entladen. Nach der Einrichtung verschiedener Werkstätten wurden die Jugendlichen in die handwerklichen Grundfertigkeiten eingeführt. Abends war bis 22.00 Uhr freie Zeit, die zum Lesen, Schreiben, Spielen oder auch zum Ausgang nach Delmenhorst genutzt werden konnte. Die Jugendwanderer blieben durchschnittlich drei Monate im Jugenddorf, bis sie mit Hilfe der Berufsberatung des Arbeitsamtes eine auswärtige Lehr- oder Arbeitsstelle mit Unterbringungsmöglichkeit gefunden hatten. Nur wenige konnten eine Lehrstelle in den Werkstätten des Jugenddorfes antreten. Rasch wuchs die Zahl der im Wichernstift und im Jugendwerk St. Ansgar aufgenommenen Jugendwanderer: Im Februar 1949 waren es bereits 200, im April 350, im August sogar 1.200, davon 38 Mädchen. Die Besatzungsbehörden unterstützen die Arbeit nach Kräften und überzeugten sich durch Besuche im Christlichen Jugenddorf von den Fortschritten. Nicht nur die örtlichen Zeitungen, sondern auch die überregionale Presse und verschiedene christliche Zeitschriften in den USA und in England berichteten kontinuierlich über das Jugenddorf. Im August erhielt das Jugenddorf vom Lutherischen Weltbund eine hochwillkommene Kohlenspende, 600 Zentner Koks, von amerikanischen Bergleuten in einer Sonderschicht gefördert.

Neue Arbeitszweige 

Neue, unabweisbare Aufgaben stellten sich dem Wichernstift. Im März 1949 begann ein Abitur-Lehrgang mit zunächst 16, dann 28 Heimkehrern aus der Kriegsgefangenschaft. Die Teilnehmer waren im Kriege von der Schulbank weg eingezogen worden; nun galt es vorhandenes Wissen aufzufrischen und Versäumtes nachzuholen, um nach einem halben Jahr die Reifeprüfung abzulegen. Der Lehrgang umfasste das Pflichtfach Deutsch und die Wahlfächer Latein, Mathematik und Physik, von denen zwei zu belegen waren. Der älteste Schüler war 26 Jahre alt, ein anderer hatte 5 Jahre in sowjetischer Kriegsgefangenschaft verbracht. Bis 1952 wurden 6 derartige Lehrgänge mit insgesamt 250 Teilnehmern durchgeführt.

Als in Vechta ein Altenheim völlig ausbrannte, sahen sich das Wichernstift und das kath. Jugendwerk St. Ansgar erneut herausgefordert zu helfen: Im August 1949 wurde ein Altenheim mit 85 Plätzen eröffnet, in dem vor allem alleinstehende, heimatvertriebene alte Menschen Aufnahme und Pflege fanden. Durch Zwangsarbeit, Hunger und mangelhafte medizinische Betreuung in der Kriegsgefangenschaft waren viele Heimkehrer gesundheitlich angeschlagen. Für sie richtete der Ökumenische Rat der Kirchen im April 1949 ein Erholungsheim mit 20 Plätzen ein, das binnen kurzem auf 30 Plätze erweitert wurde und bis 1951 bestand. Die unzureichende Ernährung in den Mangeljahren nach dem Krieg hatte besonders bei Kindern häufig die Erkrankung an Knochen-Tuberkulose zur Folge. Zur orthopädischen und allgemein-medizinischen Behandlung dieser Patienten richtete das Wichernstift ein Spezialkrankenhaus ein, das zunächst mit 30 Kindern aus dem Annastift Hannover belegt wurde; die weitere Planung sah insgesamt 150 Betten vor.

Nicht nur die Landwirtschaft, auch die Industrie war auf das Potential von jungen Arbeitskräften in Adelheide aufmerksam geworden. Die deutsche Kohlenbergbauleitung in Essen begann im August 1949 eine Nachwuchsschulung im Jugenddorf. Die angehenden Berglehrlinge wohnten in dem für sie eigens eingerichteten "Glückauf-Haus" und wurden von Meisterhauern aus dem Ruhrgebiet theoretisch wie praktisch in einem Musterschacht auf ihren künftigen Beruf vorbereitet.

Ein Jahr nach der Gründung hatte das Jugenddorf somit folgende Arbeitszweige: 450 Kinder wurden in den 3 Häusern des "Knabenhofes" und in der 10-klassigen Heimschule erzogen, bzw. unterrichtet. 300 Jugendliche lebten in den 2 Heimen des "Hofes der wandernden Jugend". 30 Auszubildende wohnten im Lehrlingsheim, 30 Berglehrlinge bewohnten das "Glückauf-Haus", 30 Heimkehrer bereiteten sich auf das Abitur vor, 30 Heimkehrer waren zur Kur im Erholungsheim, 30 Kinder wurden im orthopädischen Krankenhaus gepflegt, 85 Menschen lebten im Altenheim und 250 Kinder aus dem Ruhrgebiet erlebten erholsame Ferien. Gemeinsam mit St. Ansgar betrieb das Wichernstift eine Schlosserei und eine Elektrowerkstatt, dazu in eigener Regie eine Tischler-, Maler-, Maurer-, Schneider-, Schusterwerkstatt, sowie eine Wäscherei, Weißnäherei, Gärtnerei und Landwirtschaft.

Inzwischen war das "Christliche Jugenddorf Adelheide" so bekannt geworden, dass es von den aus der Sowjetischen Besatzungszone geflohenen Jugendlichen bevorzugt als Aufnahmeheim gewählt wurde. Daher fühlte sich die gelenkte Presse in der Sowjetzone veranlasst, Propaganda-Artikel über ein angebliches "Nazi Jugendlager Adelheide" zu veröffentlichen. Im Jugenddorf wurden daraufhin zwei FDJ-Agenten enttarnt, die vom sowjetischen Geheimdienst eingeschleust worden waren. Im Dezember 1949 wurde eine Abteilung der Landesversehrtenschule mit kriegsversehrten Umschülern eingerichtet. Als weiterer Arbeitszweig kam im Sommer 1950 ein dreiwöchiger Erholungsurlaub für heimatvertriebene Mütter mit 30 Plätzen hinzu.

Ein Anlass zu besonderer Freude und Dankbarkeit war im Juni 1950 eine 10.000- Dollar-Spende des Plattdeutschen Volksfestvereins aus New York, USA, die in einem Festakt in Anwesenheit der Landesbischöfe D. Lillje, Hannover und D. Stählin, Oldenburg, sowie des Niedersächsischen Ministerpräsidenten H.W. Kopf übergeben wurde. Bald danach gewährte der Ökumenische Rat der Kirchen eine Soforthilfe von 59.000 DM für den Ausbau des Lehrlingsheimes. Aus dem Umland, vor allem aus ostfriesischen Kirchengemeinden, kamen wiederholt beträchtliche Naturalspenden. Diese Hilfe erwies sich als sehr notwendig, da die von staatlichen Stellen gewährten Pflegesätze, zum Beispiel 2,50 DM pro Tag im Kinderheim, die Kosten bei weitem nicht deckten.

Nachdem Pastor Karl-Friedrich Weber 1951 Anstaltsvorsteher geworden war, brachte das Jahr 1952 zum Teil einschneidende Veränderungen: Die Arbeit mit der "wandernden Jugend " kam zum Abschluss. Dafür wurde die Erziehung der verhaltensauffälligen Jugendlichen in nunmehr 6 Heimen pädagogisch intensiviert und psychologisch durch Prof. Dr. Grupp begleitet. Die orthopädische Klinik wurde selbständige Heilanstalt für alle orthopädischen Erkrankungen unter der Leitung von Chefarzt Dr. Franz; die schulpflichtigen Patienten erhielten Unterricht in einer eigenen Klinikschule, die von dem selbst behinderten Lehrer W. Bläsig geleitet wurde.

Im Februar 1952 startete ein einjähriger Grundausbildungslehrgang für Hauswirtschaft, der vor allem für mittellose heimatvertriebene Mädchen gedacht war und durch Mittel aus dem Bundesjugendplan finanziert wurde. Weitere Lehrgänge folgten bis 1958. Der anschwellende Strom von Flüchtlingen aus der DDR ließ 1952/53 ein Durchgangslager Adelheide entstehen, dessen 250 Bewohner bis zu ihrer Weiterleitung nach Nordrhein-Westfalen vom Wichernstift im Christlichen Jugenddorf betreut wurden. Im Januar 1954 fanden heimatlose Spätheimkehrer aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft ein Heim in Adelheide. Zur Vorbereitung auf eine berufliche Ausbildung wurden ab 1954 Grundausbildungslehrgänge für Metallhandwerker, später auch Förderlehrgänge für die Berufsgruppen Bau-Holz und Metallbau in Adelheide eingerichtet, die bis 1966 (im Ev.luth. Wichernstift in Elmeloh) weitergeführt wurden.

Die Berglehrlinge, insgesamt 750 waren seit 1949 im Jugenddorf ausgebildet worden, übergaben dem Stift einen Sportplatz, den sie selbst angelegt hatten; auch der Segelflugplatz auf der " Großen Höhe " war ein Werk der Bergbaulehrlinge. Im Jahre 1955 zog das Brüderhaus des Lutherstiftes von Rotenburg nach Adelheide ins Wichernstift um, wo die Diakonenbrüder- und Schüler von Beginn der Arbeit im Jahre 1948 tätig gewesen waren. Im gleichen Jahr wiederholte sich ein Stück Geschichte: Zum zweiten Mal zogen junge Leute in eines der Heime, um sich in einem Kursus auf die Reifeprüfung vorzubereiten. Sie kamen aus der DDR, wo sie zwar bereits ein Abitur bestanden hatten, dass jedoch in der Bundesrepublik nur nach einer Ergänzungsprüfung anerkannt wurde.

Aus der kurzen Geschichte des Jugenddorfs auf dem Fliegerhorst-Gelände lassen sich hier einige Bilder zeigen.

Auflösung des Jugenddorf Adelheide

Kaum 2 Jahre nach der Gründung war das Christliche Jugenddorf Adelheide in seiner Existenz bereits infrage gestellt worden. Die britische Rheinarmee beabsichtigte, Adelheide erneut für ihre Truppen in Anspruch zu nehmen, begnügte sich dann jedoch damit, die Kasernen an der Wildeshauser Straße in Delmenhorst wieder zu belegen. Doch ein Jahr später gab es neue Aufregung. Die Besatzungsbehörden planten den Bau von Truppenunterkünften auf Teilen des Jugenddorf-Geländes. Die Stadt Delmenhorst schlug vor, das Jugenddorf nach Hude in den von Witzleben´schen Park zu verlegen, aber die beiden Träger des Jugenddorfes erklärten übereinstimmend Adelheide nicht freiwillig aufgeben zu wollen. Schließlich wurde außerhalb des Jugenddorfes auf dem Restgelände des ehemaligen Fliegerhorstes Kasernen gebaut und mit britischen Truppen belegt.

Die Ungewissheit über die Zukunft des Jugenddorfs in Adelheide nahm jedoch kein Ende. Im März 1954 ließ das "Amt Blank", der Vorläufer des Bundesverteidigungsministeriums, im Blick auf den Aufbau neuer deutscher Streitkräfte prüfen, welche Gebäude und Geländeteile in Adelheide als erste für eine neue deutsche Garnison infrage kämen. Im Oktober 1955 meldete dann das "Delmenhorster Kreisblatt", die Stadt Delmenhorst führe seit 2 Jahren Verhandlungen mit dem Amt Blank über Adelheide als künftigen Bundeswehrstandort, wolle aber auch das Wichernstift und St. Ansgar in Delmenhorst behalten.

Um die Jahreswende 1955/56 sind die Würfel gefallen. Das Wichernstift und St. Ansgar werden gezwungen, das bisher gepachtete Gelände aufzugeben. "Wir haben uns in Delmenhorst, kirchlich und kommunal gesehen, gut eingelebt und würden gern im Raume der Oldenburgischen Landeskirche verbleiben, möglichst am Rande von Delmenhorst", berichtete Pastor Waack, seit 1955 Anstaltsvorsteher, im Januar 1956 der Synode der Evangelischen Kirche in Oldenburg. Erste Verhandlungen über einen Kauf des Gutes Elmeloh, am Stadtrand von Delmenhorst in Richtung Oldenburg gelegen, nahmen in Aussicht, je 20 ha für das Wichernstift und St. Ansgar zu erwerben. Die katholische Seite entschloss sich dann aber, das Gut Happerschoß bei Siegburg zu kaufen und ihr Jugendwerk dorthin zu verlegen. So ging das Gut Elmeloh im April 1956 in den Besitz des Wichernstift über.

Obwohl die Umsiedelung des Wichernstift nach Elmeloh finanziell noch keineswegs geklärt war, es handelte sich immerhin um ein 10-Millionen-DM-Projekt, begann das Amt Blank schon im Sommer 1956 mit der Instandsetzung leerstehender Kasernen-Gebäude und mehrerer vom Jugenddorf genutzter Werkhallen. Ende September zog die Vorausabteilung einer Feldzeug-Instandsetzungskompanie in Adelheide ein, dem bald die ersten Rekruten folgen sollten. Das Wichernstift und St. Ansgar sahen sich vor die Notwendigkeit gestellt, Adelheide bis Ende 1957 zu räumen; die Orthopädische Klinik musste ihren Betrieb noch im Jahre 1956 einstellen. Dennoch wurde im Mai 1957 in Adelheide ein Internat für 70 Spätaussiedlerkinder und eine Förderschule eingerichtet, denn die Kinder mussten ihre deutsche Muttersprache erst lernen. Auf dem Gelände in Elmeloh entstand im Frühjahr 1957 zunächst südlich der alten B 75 eine Musterlandwirtschaft mit 20 ha Anbaufläche, einem Rinderstall und eine Schweinemästerei. Im August 1957 kam endlich der Umsiedlungsvertrag mit dem Bundesfinanzministerium zustande, der die Abfindung für den bis 1965 laufenden Pachtvertrag für Adelheide und die Darlehensgewährung für den Wiederauf- bzw. Neubau in Elmeloh regelte. Aus Platzgründen konnten in Elmeloh allerdings nur knapp zwei Drittel der in Adelheide verfügbaren Anlagen untergebracht werden; man musste die Orthopädische Klinik völlig aufgeben.

Das Gelände in Elmeloh wurde nun zur Großbaustelle. Die Pläne von Architekt und Oberbaurat a.D. Kruschewsky aus Wolfsburg sahen ein Alten- und Pflegeheim, Kinder und Jugendwohnheime, eine Heimschule, eine Kirche und die für 500 Plätze ausgelegten Wirtschaftseinrichtungen vor. Bereits am 08. Oktober 1957 konnte Landessuperintendent Schulze als Vorsitzender des Vorstandes den Grundstein legen. Im März 1959 konnten die Senioren in das neue Altenheim umziehen. Die weiteren Umzugsetappen mussten zügig erfolgen, denn bis Mitte Juni waren die meisten Gebäude in Adelheide zu räumen, damit ab Oktober rund 1.200 Soldaten einrücken konnten. Die Übernahme der Kasernenanlagen durch die Bundeswehr erfolgte zeitweise so schnell, dass das Wehrbereichskommando Düsseldorf z. B. sechs Freiwilligen einen Marschbefehl für Adelheide ausstellte, obwohl die Unterkünfte noch nicht hergerichtet waren. Das erfuhren die Soldaten aber erst bei ihrer Ankunft an ihrem neuen Standort. Bis zum Eintreffen eines sofort benachrichtigten Angehörigen des Wehrbereichskommandos, der die sechs Rekruten wieder abholte, wurden die Soldaten im Lehrlingsheim des Jugenddorfes untergebracht.

Ein besonderer Festtag war die Einweihung des neu erbauten Wichernstift in Elmeloh am 11. Oktober 1960 durch Landesbischof Lilje.

Der Grundstein ist an der Südwand des Pflegeheimes eingelassen und trägt den Spruch aus dem Hebräerbrief: "Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir" - eine Wahrheit, die auf die Geschichte des Wichernstifts seit Gründung auf dem Fliegerhorstgelände in Adelheide bis heute zutrifft.

Am 04. September 1998 feierte das Ev. luth. Wichernstift auf dem Gelände der Feldwebel Lilienthal-Kaserne sein 50-jähriges Bestehen. Ein ökumenischer Gottesdienst und ein Festakt vor ca. 400 geladenen Gästen in der Turnhalle am San-Zentrum bildeten die Höhepunkte. Als besonders eindrücklich sind die Zeitzeugenberichte empfunden worden, mit denen der Festakt begann. Ehemalige Mitarbeiterinnen aus den Jugendwerken St. Ansgar und Wichernstift ließen Geschichte auf eine Weise lebendig werden, die unmittelbar ansprach und nachdenklich machte. Vielen der anwesenden Soldaten war nicht bekannt, das es einmal einen Fliegerhorst und ein christliches Jugenddorf in Adelheide gegeben hat. Der Standortälteste und Kommandeur des LogRgt 1 Oberst Rodewald stellte am Ende seines Grußwortes fest: "Ich freue mich, abschließend feststellen zu können, dass uns Soldaten der Bundeswehr hier in Adelheide zwei Dinge mit dem Wichernstift verbinden: Das Gelände des ehemaligen Fliegerhorsts und das gemeinsame Bewusstsein, durch unser Tun vor allen Dingen den Menschen zu helfen.

Quellen:
Broschüre 40 Jahre Wichernstift 1948-1988
Broschüre 50 Jahre Wichernstift 1948-1998
Eigene Recherchen des Verfassers

 

 

 

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